Wichtig, gebraucht zu werden

Erfahrungsbericht von Robine G.

Erfahrungsbericht von Robine G.

Blauer Text auf weiss: "Wichtig, gebraucht zu werden"

Stellt euch vor, mit 19 Jahren wird euer Leben plötzlich auf den Kopf gestellt. Genau das ist mir passiert. Ich hatte gerade meine Ausbildung zur Köchin abgeschlossen und plante einen Sprachaufenthalt in England. Doch dann erhielt ich die Diagnose Kraniopharyngeom – ein sehr seltener gutartiger Hirntumor. Was folgte, war eine sofortige Notfall-OP, bei der nicht klar war, ob ich die Operation überleben würde. Erst zwei Wochen später konnte in einer zwölfstündigen Operation der grösste Teil des Tumors entfernt werden.

Der Tumor hatte meine Hypophyse und den Hypothalamus zerstört. Seither muss ich alle Hormone substituieren: Hydrocortison, Schilddrüsenhormone, Sexualhormone, Wachstumshormon und Minirin für den Diabetes insipidus. Anfangs konnte ich mir gar nicht vorstellen, was das bedeutet. Jeden Tag aufs Neue diese Abhängigkeit zu akzeptieren, fällt mir bis heute schwer. Neben den bereits beschriebenen Einschränkungen muss ich auch mit den Nebenwirkungen der Medikamente und den damit verbundenen Folgeerkrankungen kämpfen.

Die fehlende Energie und Belastbarkeit machen mir täglich zu schaffen. Gerade ich, die den Trubel in der Küche so liebte!

2019 verbrachte ich neun Monate im ZBA Luzern. Dort wurde mir schmerzlich bewusst, wie viele Einschränkungen die Krankheit mit sich bringt. An eine Eingliederung in meinen erlernten Beruf war nicht mehr zu denken, und auch eine Umschulung kam nicht in Frage. Ich bin dem ZBA-Team sehr dankbar - ich wurde bestens betreut.

Ich brauche viele Ruhepausen, einen Mittagsschlaf von drei Stunden und gehe abends um 19 Uhr ins Bett. Meine zwei gesunden Schwestern zu sehen, wie sie unbeschwert ihren Alltag meistern, tut manchmal weh. Ich bin unglaublich dankbar für die Unterstützung meiner Familie, die mir im Alltag so viel hilft. Manchmal gibt es Stunden, in denen die Schmerzen so stark sind, dass ich es nicht mal alleine zur Toilette schaffe. Wir halten fest zusammen und ich bin mir bewusst, wie viel meine Eltern zurückstecken, um mir im Alltag zu helfen.

Mit ihrer Hilfe konnte ich im Elternhaus eine kleine Mikrobäckerei einrichten: «Eine Prise Glück». Donnerstags backe ich nun für Freunde und Nachbarn im Dorf frisches Brot. Diese Aufgabe gibt mir unglaublich viel. Es geht nur, weil ich dabei keine Verpflichtungen, keinen Druck habe. Meine «Brotfreunde» wissen, dass es auch Wochen gibt, in denen es kein Brot von mir gibt – wenn die Schmerzen zu stark sind oder Arzttermine anstehen.
Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, diese Aufgabe zu haben. Gerade in unserem jungen Alter ist es so wichtig, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun. Ich bin meinen Brotfreunden unglaublich dankbar. Sie unterstützen mich und ermöglichen mir das, indem sie Woche für Woche mein Brot bestellen und Verständnis haben, wenn es mal wieder eine Pause gibt.
Neben dem Backen geben mir meine Familie und Freunde Kraft. Ich möchte mein Leben so gut es geht geniessen und lernen, mit meinen Grenzen zu leben. Jeder Tag ist ein Geschenk. Und wer weiss schon, was morgen ist.

Auf die Fragile-Gruppe bin ich 2020 gestossen. Seither gehe ich regelmässig an die Treffen der jungen Hirnverletzten-Gruppe Luzern. Ich bin sehr dankbar für den Austausch, denn im Alltag bin ich viel mehr von «gesunden» Menschen umgeben. In der Gruppe finde ich Verständnis und wertvolle Tipps. Zu sehen, dass es auch andere Junge mit denselben Einschränkungen gibt, hat mir beim Akzeptieren meiner Situation geholfen. 
Robine G.

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