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Sie weiss sich in jeder Situation zu helfen

Ihr unbändiger Wille und ihr Durchhaltevermögen haben Nicole Nyfeler geholfen, nach ihrer Hirnblutung schnell wieder Fuss zu fassen. Sie wollte unbedingt wieder alleine und selbstbestimmt leben – und das hat sie geschafft. Eine eindrückliche Geschichte.

Ihr unbändiger Wille und ihr Durchhaltevermögen haben Nicole Nyfeler geholfen, nach ihrer Hirnblutung schnell wieder Fuss zu fassen. Sie wollte unbedingt wieder alleine und…

Nicole Nyfeler mit ihrer Katze

Foto: Markus Hässig

«Nicole Arbeit, Zug, Bus, etwas stimmt nicht, Anruf Eltern, nicht sprechen.» So beginnt Nicole Nyfeler ihre Geschichte. 2009 erlitt die heute 45-Jährige eine Hirnblutung. Was nach dem Anruf an die Eltern passierte, bei dem sie nicht mehr sprechen konnte, weiss sie nur noch aus Erzählungen. «Tütatüta, Spital, nur Ja, Nein», erzählt sie weiter. Und obwohl sie nur in einzelnen Worten spricht, versteht man alles. Aufgeben war für Nicole Nyfeler nie eine Option. Ihre rechte Körperhälfte war gelähmt, die Sprache hatte sie verloren: Aphasie heisst das im Fachjargon. Zuerst kam sie ins Spital Luzern. Bei ihrem ersten Erwachen, an das sie sich erinnert, war sie aber bereits im Spital Aarau, ein paar Wochen nach ihrer Hirnblutung.

«Grossmutter Hirnschlag als ich Kind», sagt sie. Sie habe gekämpft. Und genauso eine Kämpferin sei sie selber auch. «Im Blut», sagt sie und zeigt einen Apfelschneider, den sie noch von ihrer Grossmutter hat. Auch diese war halbseitig gelähmt und hatte Aphasie. Aber auch für sie war Aufgeben keine Option. Nach dem Spitalaufenthalt war Nicole Nyfeler acht Monate in der Reha. Sie musste alles wieder von vorne lernen, fast wie ein Kleinkind. Da sie nicht reden konnte, zeichnete sie. Die Sprache im Kopf hatte sie immer, aber die Wörter kamen nicht heraus oder nicht richtig. Damit sie trotzdem kommunizieren konnte, hatte sie immer einen Stift und ein Blatt Papier dabei. Heute benutzt sie das Handy dafür.

Für jedes Problem eine Lösung

32 Jahre alt war die Krienserin, als ihr Leben durch die Hirnblutung komplett auf den Kopf gestellt wurde. Damals arbeitete sie als Sozialarbeiterin, zuletzt im Sozialamt Ebikon. Ihr Schicksal konnte sie schnell annehmen und akzeptieren. «Kann nicht ändern, Beste machen», sagt sie und ballt ihre Hand zu einer Siegerfaust. Grosse Unterstützung erfuhr und erfährt sie jederzeit von ihren Eltern und ihrer Schwester. Ihr Ziel war klar: wieder selbstständig und selbstbestimmt leben. «Alternative Altersheim. Nicole Nein!» Das kam für sie gar nicht in Frage. Sie wollte in ihrer eigenen Wohnung leben. Und schon nach der Reha tat sie dies. Mit Unterstützung einer Assistenz, der Spitex, einer Haushaltshilfe und ihrer Eltern sowie dem Rotkreuz-Notruf ist dies möglich. Auch wird sie stark von ihrem grossen Beziehungsnetz unterstützt. Heute lebt sie allein – mit ihrer Katze Pumuckl zusammen. Ihr damaliger Partner und sie haben sich vor zwei Jahren, nach siebenjähriger Beziehung, getrennt. Sie habe sich einsam gefühlt danach und sich schliesslich den Wunsch nach einer eigenen Katze erfüllt. Und als würde diese sie verstehen, schmiegt sie sich an Nicole Nyfelers Beine.

Die 45-Jährige ist unternehmungslustig und mag es, wenn etwas läuft. Sie findet für jedes Problem eine Lösung, ist kreativ und hat Ideen. Sie weiss sich in jeder Situation irgendwie zu helfen. Da sie wegen ihrer Halbseitenlähmung Brot nicht schneiden kann, lässt sie das ihre Assistentin oder Freunde tun und gefriert die geschnittenen Scheiben dann ein. Um Karotten zu schälen, hat ihr Vater ihr eine Eigenkonstruktion mit einem Brett und mehreren Nägeln gebaut, damit sie dies einhändig tun kann. Es braucht viel Planung und Organisation. Wenn sie Freunde zum Essen einlädt, kauft sie ein und die Freunde kochen. Punkt. Sie kann selber aufstehen, duschen und sich anziehen, auch wenn sie dafür sehr lange braucht, manchmal bis zu zwei Stunden. Sie kann E-Mails schreiben, einfachere Büroarbeiten erledigen. Texte, die sie immer wieder braucht, zum Beispiel, um einen Fahrdienst anzufordern, hat sie als Vorlage auf ihrem Laptop gespeichert. «Datum, Zeit anpassen, abschicken», erklärt sie. Auch die Wäsche legt sie selber zusammen. Wichtig ist ihr, möglichst alles eigenständig zu tun. Wo sie aber Hilfe braucht, kann sie auch diese dankend annehmen. «Aber immer zuerst selber probieren.»

Kurse von FRAGILE Suisse

Nach ihrer Hirnblutung wollte die Krienserin möglichst bald wieder arbeiten. Von 2010 bis letztes Jahr tat sie dies in einem Kundencenter, wo sie Bestellungen bearbeitete. «Telefon nein, nur Mail.» Jeweils zwei Mal pro Woche war sie für zwei Stunden dort und mochte ihren Job sehr. Sie hatte eine Aufgabe und gehörte zu einem Team. Dann kam Corona und mehrere Angestellte mussten gehen. Dazu gehörte auch Nicole Nyfeler. Sie möchte unbedingt wieder arbeiten und sei offen für alles. «Geschützte Werkstatt nein», sagt sie bestimmt. Sie will eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Denn sie fühlt sich nicht beeinträchtigt. «Nicole normal, behindert nein», stellt sie klar.

FRAGILE Suisse kannte sie schon vor ihrer Hirnblutung. Für ihre Diplomarbeit als Sozialarbeiterin hatte sie mit der Kursverantwortlichen von FRAGILE Suisse für ein Interview Kontakt. Dass sie die Organisation nur kurze Zeit später als Betroffene brauchen würde, davon hatte sie keine Ahnung. Nach ihrer Hirnverletzung erinnerte sich Nicole Nyfeler an die Patientenorganisation. Sie wollte wieder etwas machen, sich mit anderen austauschen, etwas unternehmen. So stiess sie auf das Kursangebot von FRAGILE Suisse. Angefangen mit einem Malkurs, besuchte sie vor ein paar Jahren den Jodelkurs. Und dieser begeisterte sie so sehr, dass sie auch heute noch dabei ist. Zwei Mal im Jahr. Früher sei Singen nichts für sie gewesen, aber Jodeln mache ihr Spass. Es sei befreiend und eine super Teamleitung, schwärmt sie. Auch die Aphasie-Intensivwoche in Interlaken hat sie schon drei Mal besucht.

Kurze Strecken in der eigenen Wohnung kann sie zu Fuss gehen, manchmal auch mit Hilfe eines Stockes. Längere Strecken draussen legt sie mit ihrem E-Rollstuhl zurück: zum Einkaufen, um Freunde zu treffen, zum Spazierenfahren, um ins Schwimmbad oder zu ihrer Pferdetherapie zu gelangen. Nicole Nyfeler lebt selbstständig und selbstbestimmt. Und sie weiss genau, was sie will und was sie nicht will. «Nicole müde, schlafen, du tschüss», sagt sie am Ende des Interviews zur Verfasserin dieses Porträts. Eine vife Frau, die ihr Leben eindrücklich meistert.

Text: Carole Bolliger

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