Dr. Margret Hund-Georgiadis, jährlich erleiden in der Schweiz etwa 16 000 Personen einen Schlaganfall. Wie wichtig ist nach einem solchen Schlaganfall und dem stationären Aufenthalt im Spital die Rehabilitation?
Nach der Akutversorgung ist die Rehabilitation für jeden Betroffenen extrem wichtig, um zurück in den eigenen Alltag zurückzufinden, sich von Funktionsstörungen möglichst gut zu erholen und seine Autonomie zurückzuerlangen. Erst in der Rehabilitationsphase lässt sich oftmals genau erfassen, welche körperlichen und kognitiven Funktionseinbussen noch bestehen. Diese müssen sorgfältig erhoben und behandelt werden. Wann immer keine volle Wiedererholung, etwa aufgrund bleibender Halbseitenlähmungen, möglich ist, fokussiert die Rehabilitation darauf, den Umgang mit Einschränkungen im Alltag zu erlernen und unterstützend Hilfsmittel einzusetzen.
Was sind die Ziele einer Rehabilitation?
Es geht immer darum, die Selbstständigkeit im Alltag in allen Bereichen möglichst vollumfänglich wieder zu erlangen. Sich selbst versorgen können, gehen und sprechen, wieder essen, wieder so leben können wie vor dem Schlaganfall, wieder zu arbeiten. Jeder Betroffene hat hier unterschiedliche Prioritäten. Rehabilitation braucht dabei oft Etappenziele zum grossen Ziel hin. Erfahrene interprofessionelle Behandlungsteams erarbeiten dies gemeinsam mit den Patienten. Man muss aufstehen und stehen lernen, bevor man gehen kann. Es ist wichtig, den Weg der kleinen Schritte mit den Patienten zu besprechen und Fortschritte und Erfolge regelmässig zu spiegeln.
Wie ist der Ablauf einer Reha?
Der Behandlungspfad hat in der stationären Neurorehabilitation inzwischen einen sehr einheitlichen Ablauf. Am Anfang steht die Erfassung der Funktionseinschränkung in allen Lebensbereichen des Patienten oder der Patientin. In der eigentlichen Behandlungsphase erfolgt dann sehr zielorientiert das individualisierte Therapieprogramm, was sich eng an Zielen, Wünschen, Fähigkeiten und Belastbarkeit des Patienten oder der Patientin orientiert. Sind die wichtigsten Reha-Ziele erreicht, geht es in die nächste tagesklinische und ambulante Phase. Hier wird mit geringerer Therapiedichte und sehr alltagsbezogen dort weitergearbeitet, wo es weitere Funktionsverbesserungen braucht.
Was ist wichtig für eine erfolgreiche Reha eines Schlaganfall-Patienten?
Hier sind mindestens eine Reihe von wichtigen Erfolgsfaktoren zu nennen: Die Motivation und Willenskraft des Patienten ist ein ganz wichtiger Faktor. Ausserdem ist die fachliche Kompetenz des Rehabilitationsteams, das fordert ohne zu überfordern und nach neuestem Wissensstand arbeitet, sicher eine weitere Einflussgrösse. Ganz entscheidend beeinflussen natürlich auch neurologisch-medizinische Faktoren das Rehabilitationspotential des Betroffenen: Die Grösse und Ausdehnung des Schlaganfalls, medizinische Begleit- und Vorerkrankungen sowie das Alter des Patienten.
Viele erwarten von einer Reha eigentlich nur, möglichst wieder vollständig gesund zu werden. Wieso betreiben Reha-Zentren, wie auch das Rehab Basel, wissenschaftliche Forschung?
Die Rehabilitation hat sich besonders im Bereich Therapieforschung im letzten Jahrzehnt intensiv entwickelt, auch wenn leider weiterhin nicht alle Patienten in der Reha wieder vollständig gesund werden. Wir haben mehr über die Wiedererholungsmechanismen des Gehirns gelernt. Wir beschäftigen uns mit erforderlicher Therapiedichte, um möglichst grosse Fortschritte zu erzielen. Wir untersuchen, wie Patienten und Patientinnen möglichst gut motiviert bleiben in einer langdauernden, fordernden Rehabilitationstherapie. Wir erforschen, wie wir die Plastizitätsfähigkeit des Gehirns fördern können. Und wir sind in jeder Hinsicht technischer geworden, der Einsatz von Robotik in der Therapie hat sich fest etabliert.
Wir nutzen viele technische Hilfsmittel, um Leben und Alltag mit einer bleibenden Funktionseinschränkung zu erleichtern.
Was konkret wird bei Ihnen erforscht?
Aktuell liegt der Fokus im Bereich Neurorehabilitation auf der Stimulation der Hirnplastizität mit Transkranieller Magnetstimulation. Dies ist eine nicht-invasive Technik, die zum Einsatz kommt, um Patienten mit einer schweren Wahrnehmungs- oder Sprachstörung besser zu fördern. Unsere Forschung im Bereich Tiergestützter Therapie konzentriert sich derzeit auf die Förderung von Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen.
Im Bereich Paraplegiologie nehmen wir als eins von vier Schweizer Zentren an der sogenannten NISCI-Studie teil. Dies ist eine europaweit laufende multizentrische Studie mit einem aufwendigen immunologischen Antikörper. Durch die Injektion von einem speziell aufbereiteten Serum sollen Reparaturvorgänge im Rückenmark bei Patienten mit einer Tetraplegie nach Unfall möglich werden.
Interview: Carole Bolliger