Mein Vater hat vor bald 13 Jahren eine schwere Hirnblutung erlitten. Meine Eltern waren damals getrennt und meine jüngere Schwester wollte die notwendige Beistandschaft trotz Studium als Sozialpädagogin nicht machen. Somit bin ich in die Bresche gesprungen ohne berufliche Vorkenntnisse und habe die Beistandschaft für meinen Vater übernommen. Mit Spitexeinsatz am Morgen und Mahlzeitendienst sowie einmal die Woche eine Haushälterin, welche für Sauberkeit sorgte, konnte mein Vater recht lange selbständig bleiben. Seine Motivation war: «wieder der Alte» werden, sodass er trotz linker Lähmung wieder das Laufen, Schlucken und sogar das Velofahren wieder erlernt hat. Über die vergangenen 13 Jahre sind aber immer weitere Aufgaben auf mich zugekommen, insbesondere während und nach der Pandemie. Nach der Pandemie war die Selbständigkeit meines Vaters nicht mehr gewährt, sodass ich eine Pflegekraft einstellen musste und nun auch noch als Arbeitgeberin funktioniere, nebst meinem eigenen 100%igen Job. Ich lebe im Baselbiet und mein Vater im Glarnerland. Somit muss ich stets mit dem Zug ins Glarnerland pendeln. Manchmal habe ich hierzu den Stress, nichts vergessen zu haben, denn sonst muss ich das vergessene eine Woche später ins Glarnerland mitnehmen.
Da ich weiter weg lebe, kann ich meine Angehörigenarbeit nicht der AHV melden. Da falle ich zwischen Stuhl und Bank. Ich kann die Angehörigenpflege nur mit zusätzlichem Aufwand und Verlust meiner Freizeit bewältigen. Dies ist auf lange Sicht unbefriedigend. Auch wenn ich alles in die Wege geleitet habe, damit es meinem Vater gut geht und er in seinem Eigenheim leben kann, dies ist aus finanzieller Sicht aber auch aus gesundheitlicher Sicht am besten, denn er ist ein grossgewachsener Mensch (> 1.90m) und im Altersheim würde man ihn schnell aus Ängsten von Stürzen und aus Zeitmangel in einem Rollstuhl mobilisieren und seine Selbständigkeit einschränken und nicht fördern, komme ich langsam an meine Grenzen.
Als jüngerer Mensch ist es schwierig, sich mit Themen aus dem Alter zu beschäftigen und zu wissen, dass man sein eigenes Leben auf Pause stellen muss. Bisher habe ich versucht, alles unter einem Hut zu kriegen und war unerschrocken und wollte es beweisen, dass man es schaffen kann. Aber alleine, ohne familiärer Unterstützung ficht man einen einsamen Kampf und dieser macht mit der Zeit mürbe.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass man als Angehörigen oft alleine kämpft und in der Gesellschaft wenig Verständnis kriegt. In der Arbeitswelt berücksichtigt man und hat Verständnis, wenn eine Frau ein Kind zu betreuen hat und ausfällt, aber bei einem Elternteil runzelt man die Stirn und wenig Verständnis wird entgegengebracht. Oft muss ich Ferientage oder Kompensationszeit für meinen Vater aufwenden. Zeit für die eigene Erholung wird dadurch weniger, man gibt eigene Ferien- oder Freizeit her.
Wie Sie meiner E-Mail entnehmen können, fühle ich mich in vielerlei Hinsicht allein gelassen. Nichtsdestotrotz finde ich, müsste es möglich sein, dass bei einem Schicksalsschlag, den einfach auch jeden treffen kann, Möglichkeiten geschaffen werden, dass Angehörigenpflege machbar ist und keine beruflichen Einbussen (finanzieller, zeitlicher Natur) für Angehörige zur Folge haben.
Für meinen Vater ist meine Arbeit ein Erfolg. Ihm geht es gesundheitlich gut, er ist stabil und sein Wunsch in seinem Eigenheim leben zu dürfen, ist erfüllt. Für mich als Angehörige ändert sich die Sichtweise langsam. Ich weiss, dass ich sehr viel (unmenschliches) geleistet habe, ich habe lange wie eine Löwin gekämpft und nach Lösungen gesucht und die Arme nicht gesenkt, somit könnte ich von Erfolg sprechen, aber langsam komme ich zu dem Entschluss, dass mir von dieser Arbeit da nicht wirklich viel zugutekommt. Ich muss langsam feststellen, dass ich einen grossen Preis im Leben zahle, dass ich Angehörigenpflege übernommen habe und dass dadurch mein Leben zu kurz kommt, insbesondere weil ich alles allein stemmen muss. Kommt dazu noch eine Lebenskrise, wie eine Trennung, wird es sehr schwierig die Kraft aufzubringen alles zu managen, dass das Kartenhaus nicht zusammenfällt. Man kann sich aus seiner Verantwortung nicht einfach entziehen und sich die Zeit nehmen, die man selbst zur Heilung braucht. Eine Grandwanderung entsteht, allen gerecht zu werden und sich selbst auch. Da merkt man, dass man nur begrenzte Ressourcen hat und lange Zeit mit wenig Ressourcen gehaushaltet hat, weil es anders leider auch nicht ging.