Mein persönlicher Kampf

Erfahrungsbericht von Andrin K.

Erfahrungsbericht von Andrin K.

 

Am Freitagabend, 31.01.2020, kurz nach Andrins 17. Geburtstag, ereilte ihn das für uns alle unerklärliche Schicksal einer plötzlichen Hirnblutung. Während einer Busfahrt mit Freunden nach St. Gallen beklagte sich Andrin über plötzliche, starke Kopfschmerzen. Ihm wurde übel, er erlitt Lähmungen und brach zusammen.

Seine Freunde alarmierten umgehend die Rettung, welche in kürzester Zeit vor Ort war. Andrin war bis zur Einlieferung im Notfall ansprechbar. Jedoch verschlechterte sich sein Zustand während der Notfall-Aufnahme und er fiel ins Koma. Er wurde umgehend mit einem CT diagnostiziert. Eine schwere Hirnblutung wurde festgestellt und Andrin wurde während vier Stunden notoperiert.

Nach zehn Tagen im Koma konnte man erstmals während der Aufwachphase Andrins neurologischen Befund feststellen. Nachdem er stabil genug war, wurde ein weiterer Eingriff durchgeführt. Die Verschliessung der arteriovenöse Malformation (AVM). Die angeborene Gefässmissbildung –  bis zu diesem Zeitpunkt für uns unbekannt – sowie die zwei arteriellen Aneurysmen, welche die Blutung verursacht hatten, konnten während des Eingriffs embolisiert werden.

Nach drei Monaten wurde während einer weiteren sechsstündigen Operation die gesamte AVM entfernt und die Schädeldecke mit einer Kalotte aus dem 3-D Druck wieder verschlossen.

Da die Hirnblutung auf der linken Seite stattgefunden hat, war die rechte Körperhälfte gelähmt sowie das gesamte Sprachzentrum stark betroffen. Andrin konnte weder schlucken, sprechen noch seine rechte Seite bewegen. Kognitiv war er relativ schnell wieder fit und hat seine Situation realisiert, was zusätzlich zu vielen Tränen führte. Nach mehr als vier Wochen auf der chirurgischen Intensivstation des Kantonsspital SG kam der Übertritt zur Rehabilitationsklink nach Affoltern am Albis, bei der er bis Ende des Jahres bleiben musste (elf Monate).

Mittlerweile sind fast vier Jahre vergangen und Andrin hat sich wortwörtlich in ein neues Leben zurück gekämpft.

Er besucht nun jährlich für ca. sechs Wochen die Rehaklinik in Valens zur Re- Rehabilitation und erzielt immer noch weitere Fortschritte. Mittlerweile kann er mit Hilfe einer Fussheberschiene wieder selbständig gehen und konnte den Rollstuhl und Gehstock in der Reha zurücklassen. Seine Sprache ist fast zurück und das Schreiben (linkshändig) und Lesen funktioniert mit sehr viel Geduld und Übung immer besser. Die Feinmotorik der rechten Hand macht ihm noch viel Mühe.

Geduldig besucht er sechsmal wöchentlich sein grossartiges Therapeuten-Team zur Ergo, Logo und Physio. Er wohnt wieder zuhause und arbeitet in einer Tagesstruktur beim Viv (ehem. Quimby-Huus) in Winkeln, wo er sich in verschiedenen Kreativ- Ateliers verwirklichen kann. Den Lehrvertrag zum Elektriker mussten wir leider auflösen und den Beruf musste er schweren Herzens loslassen.

Andrin hat nie aufgegeben und sich zum Glück nur selten in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Im Gegenteil, er erzählt gerne über sein Schicksal und freut sich, wenn sich jemand dafür interessiert.

Wir wollten, dass Andrin seine gesamten Ressourcen zur Rehabilitation aufbringen kann und ihm genügend Energie bleibt, die vielen Therapien zu meistern. Langsam ist Andrin soweit und möchte einen Schritt weitergehen... Seine Ziele sind klar. Er würde gerne eine Ausbildung im sozialen Bereich absolvieren und Menschen mit Einschränkungen unterstützen. Vielleicht ergibt sich für ihn einmal die Möglichkeit, in einer solchen Institution wie dem Viv zu arbeiten.

Andrin hat einen sehr weiten Weg hinter sich, ist noch lange nicht dort, wo er hinwill, aber auch längst nicht mehr da, wo er einmal war.

Für uns ist es ein Wunder wie er mit seinem wunderbaren Humor alle zum Lachen bringt und mit seiner Selbstironie auch bei schwierigen Themen Brücken bauen kann. Er wurde über Nacht erwachsen und ist heute ein tiefgründiger, junger Mann. Wir sind stolz auf Andrin, hoffnungsvoll und überzeugt, dass sein Weg noch schöne Momente aufzeigen wird. Auch wenn dieser oft steinig und unfair scheint.

 

Geschrieben von: Carmen Mätzler-Klingler (Mutter)

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