«Man muss einen Dialog mit den pflegenden Angehörigen beginnen»

Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind rund 600'000 Personen in der Schweiz pflegende Angehörige. Für sie ist es manchmal schwierig zu wissen, welche Art von Hilfe sie in Anspruch nehmen und bei welchen Anbietern sie Hilfe finden können. Ein Gespräch mit der Pflegefachfrau Gladys Pfister und der Sozialarbeiterin Sophie Rais-Pugin, die bei Espace Proches für die Betreuung von Angehörigen zuständig sind.

Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind rund 600'000 Personen in der Schweiz pflegende Angehörige. Für sie ist es manchmal schwierig zu wissen, welche Art von Hilfe sie in…

Ein Bildausschnitt: In der Mitte die Hände von zwei Personen an einer Tischkante übereinander gelegt, sie stützen sich aufeinander ab. An den Bildseiten einen Teil der Hüften der zwei Personen, die sich am Tischrand anlehnen.

Bildquelle: Pexels

Welche Unterstützung erhalten pflegende Angehörige aktuell in der Schweiz?

Je nach Kanton haben pflegende Angehörige nicht das Recht auf dieselben Leistungen. Manchmal sehen sich die Personen mit widersprüchlichen Informationen konfrontiert. Espace Proches bietet im Kanton Waadt einen Mehrwert: Wir sind da, um die Bedürfnisse der Personen, die sich an uns wenden, zu verstehen und sie an die für sie geeigneten Leistungen zu verweisen. Im Jahr 2023 erhielten wir 1603 Anrufe auf unserer Hotline und führten 156 Gespräche. Es besteht also eine echte Nachfrage von pflegenden Angehörigen nach Informationen und Unterstützung. 

Mit welchen Problemen werden pflegende Angehörige konfrontiert?

Angehörige wenden sich aus den unterschiedlichsten Gründen an uns. Wir beobachten, dass sie oft ein Bedürfnis nach Legitimität gegenüber dem Pflegepersonal verspüren. Im Alltag nehmen die Angehörigen bei den Betroffenen einen sehr wichtigen Platz ein, aber gegenüber den Fachleuten im Gesundheitswesen haben sie Mühe, anerkannt zu werden. 

Eine weitere Problematik, die sich unter anderem für Angehörige von Menschen mit einer Hirnverletzung herauskristallisiert, besteht darin, dass sie um ihr «früheres» Leben trauern müssen. Da es sich um eine Notfallsituation handelt, wird sich das Umfeld in erster Linie um die betroffene Person sorgen und nur sehr wenig um die angehörige Person, die ebenfalls mit einer plötzlichen Veränderung konfrontiert ist.

Das Familien- oder Eheleben wird auf den Kopf gestellt. In einigen Fällen gab es früher eine klar definierte Aufgabenverteilung, die nun nicht mehr funktioniert. Beispielsweise war es immer der Ehemann, der sich um die Buchhaltung kümmerte. Wenn er dazu nicht mehr in der Lage ist, ist seine Frau hilflos, weil sie das bisher noch nie gemacht hatte. Deshalb sollte man immer auf die vorrangigen Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen achten. 

Manchmal ist den pflegenden Angehörigen nicht bewusst, dass sie diese Rolle übernommen haben. Es ist für sie schwierig, die Unterstützung und Begleitung, die sie der betroffenen Person geben, in Worte zu fassen. Wenn pflegende Angehörige ihre Geschichte mitteilen, kommt oft erst dann die Erkenntnis, was sie alles tun: Sie schaffen es, Abstand zu gewinnen. 

Wie können wir pflegenden Angehörigen helfen? 

In unseren Gesprächen mit den Angehörigen achten wir darauf, ihre Bedürfnisse richtig zu erkennen. Beispielsweise hatten wir Kontakt zu einer Frau, deren Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte. Sie kümmerte sich täglich darum, sie zu waschen und anzuziehen. Es wäre leicht gewesen zu denken, dass sie bei diesen Aufgaben Hilfe benötigen würde. Was sie jedoch wirklich belastete, war das Kochen der Mahlzeiten für ihre Mutter. Daher konnten wir sie an die entsprechende Leistung weiterleiten. Deshalb ist es wichtig, immer einen Dialog mit den pflegenden Angehörigen herzustellen und ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse zu haben. 

Für die pflegenden Angehörigen ist es auch wichtig, einen Sinn in dem zu finden, was sie erleben. Oft empfinden sie widersprüchliche Gefühle. Es fällt ihnen schwer, ihre Grenzen zu setzen. Die Betroffenen können externe Hilfe mit dem Argument ablehnen, dass nur der oder die Angehörige weiss, wie es geht. Dies kann zu heiklen Situationen führen.

Für pflegende Angehörige ist es entscheidend zu verstehen, wo sie stehen und über die Situation langfristig nachzudenken. Was passiert, wenn sie in einen Erschöpfungszustand geraten?. Dies ist in der Regel ein Auslöser für die Angehörigen. Sie erkennen, dass sie sich nicht zurückziehen sollten, sondern dass es entscheidend ist, Hilfe zu suchen. 

Schliesslich bleibt das Wichtigste, einen echten Dialog mit der oder dem pflegenden Angehörigen zu beginnen. Man muss die Situation verstehen und sie ermutigen, sich Grenzen zu setzen. Es besteht ein echtes Risiko, dass sie oder er die eigene Gesundheit gefährdet. Espace Proches ist da, um sie zu unterstützen und sie an Leistungen zu verweisen, die sie entlasten. 

Wenn Sie Informationen zur Unterstützung und mögliche Hilfen für pflegende Angehörige in Waadt wünschen, kontaktieren Sie  die Hotline von Espace Proches unter 0800 660 660.

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