Einerseits änderten sich die Sujets nach dem Schlaganfall zu dunkleren Themen und andererseits bewegte sich sein impressionistischer Malstil immer mehr zu einem expressiven Stil hin. Folgende Veränderungen wurden in Lovis Corinths Kunstwerken nach dem Schlaganfall beobachtet:
Dunklere Themen
Die Porträts von Corinth, die vor dem Ereignis vor Selbstbewusstsein und Kraft strotzten, zeigten nach dem Schlaganfall einen zweifelnden, in sich gekehrten und von der Krankheit gezeichneten Künstler, der dem Tod deutlich näher stand als zuvor.
Abstraktion
Auch der Malstil von Lovis Corinth hat sich nach dem Schlaganfall verändert. Die detailgetreue Darstellung und die Lebensechtheit verschwanden zunehmend aus seinen Bildnissen und Porträts, sein Stil radikalisierte sich. Vermehrt malte er mit breiten Strichen, liess Konturen verschwinden und versuchte die gemalte Person als Ganzes zu erfassen. Die Körper auf seinen Porträts waren oft deformiert, wie auseinandergerissen und übertrieben, tatsächlich oft bis zur Karikatur. Seine Stiländerung hin zur Abstraktion zeichnete sich vor allem in Selbstporträts ab. Der Künstler ist kaum mehr zu erkennen und fratzenhaft dargestellt. Es scheint, als würde uns der Künstler dadurch in seinen inneren Seelenzustand blicken lassen. Lovis Corinth selbst formulierte kurz vor seinem Tode 1925: «Zeichnen heisst weglassen».
Eine weniger radikale Abstraktion erfuhren die Stillleben und Landschaftsbilder von Corinth. Die Auslassungen, die oft auch dem Neglect (Störung der Aufmerksamkeit, bei der eine Seite nicht wahrgenommen wird) zugeschrieben werden, treten immer mehr in den Hintergrund und sind in späteren Werken vergebens zu suchen. Die Einflüsse des Schlaganfalls verschwinden im Verlauf seines Spätwerkes immer mehr.
Der veränderte Malstil von Lovis Corinth kann klar mit dem Folgen des Schlaganfalls in Verbindung gebracht werden. Vor allem die Hemiparese und der Neglect spielten eine grosse Rolle in seiner Kunst:
Hemiparese
Eine Folge des Schlaganfalles war eine Hemiparese links, also eine Schwächung der linken Körperseite, die sich vor allem auf Corinths Arm auswirkte. Der rechtshändige Künstler brauchte die betroffene Hand zwar nicht zum Malen selbst, aber zum assistieren. Er konnte seine linke Hand nur sehr schwerfällig bewegen und musste seine Gewohnheiten entsprechend anpassen. Einfache Tätigkeiten konnte er jedoch auch mit der betroffenen Hand ausführen. Beispielsweise die Palette halten und Farbtuben auszudrücken. Wie die moderne Rehabilitation empfiehlt, hat er seine betroffene Hand somit weiterhin eingesetzt.
Neglect
Zusätzlich litt der Künstler unter einem Neglectsyndrom, welches seine Wahrnehmung auf der linken Seite stark einschränkte. In einer seiner ersten nach dem Schlaganfall angefertigten Radierungen aus dem Jahre 1912, zeigt sich dieses Syndrom deutlich: der Künstler liess die linke Gesichtshälfte und die Schulter weg bzw. deutete diese nur an. Das Neglectsyndrom Corinths war offensichtlich mit einer räumlich konstruktiven Störung verbunden. So zeigen seine Werke des Öfteren Fehlplatzierungen von Details, fehlende Perspektive, Vergröberungen von Strukturen sowie Dunkelheit und Verschwommenheit.
Lovis Corinth ist ein bewundernswertes Beispiel für einen Schlaganfallpatienten, der seine Leidenschaft trotz seiner Einschränkungen weiterverfolgte und damit Höchstleistungen erzielte. Die Folgen seines Schlaganfalles liessen seinen Malstil noch ausdrucksstarker und expressiver wirken und verhalfen ihm damit zur höchsten Blüte.
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