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«In meinem Kopf tobt ein Atomkrieg»

Rébecca erleidet mit 17 Jahren einen schweren Verkehrsunfall. Seither baut sie sich ihr Leben mit ihrem starken Durchhaltewillen und der Unterstützung ihrer Angehörigen neu auf.

Rébecca erleidet mit 17 Jahren einen schweren Verkehrsunfall. Seither baut sie sich ihr Leben mit ihrem starken Durchhaltewillen und der Unterstützung ihrer Angehörigen neu auf.

Foto: Francesca Palazzi

Es ist grau und nass, als wir Rébecca treffen. Unser erster Eindruck: Sie ist attraktiv, gut angezogen und trägt einen hübschen Hut. Und rasch schafft die 30-Jährige mit ihrem sonnigen Gemüt einen Kontrast zum Wetter. Mit Humor erzählt sie von ihrem schwierigen Weg.

Erschüttertes Leben

Anfang Sommer 2005 ist Rébecca auf ihrem Motorroller nach der Arbeit unterwegs nach Hause. In einer Kurve fährt plötzlich ein Auto auf ihrer Spur auf sie zu und in sie hinein. Der Helm hält dem Frontalcrash zwar stand, fliegt dann aber davon, ohne dass der satt angezogene Kinnriemen aufgegangen ist. Ihr ungeschützter Kopf schlägt mehrmals auf dem Boden auf. Der Automobilist versucht, den Rettungsdienst anzurufen, hat aber kein Netz. Eine Anwohnerin hört die Schreie und alarmiert die Sanität. Rébecca wird per Helikopter ins Waadtländer Universitätsspital CHUV geflogen, ihr Zustand ist kritisch: Sie hat schwere Kopfverletzungen und zahlreiche Brüche.

«Das Schlimmste war das Warten», erzählt Rébeccas Mutter Isabelle Muller. Sie muss sechs Stunden im Spital ausharren, bis sie über den Zustand ihrer Tochter informiert wird. Das Personal der Intensivstation unterstützt die Familie in dieser ersten Zeit, wo es kann. «Ich habe die ersten Tage für Rébecca überlebt», sagt ihre Mutter leise. Während der ersten acht Wochen liegt Rébecca in einem tiefen Koma und ist dem Tod nahe. «Ich war da oben, und es war so schön. Ich habe meine geliebte Grossmutter wiedergesehen, die mir aber gesagt hat, ich solle wieder ins Leben zurückkehren, ich sei zu jung», flüstert Rébecca, ihr Blick schweift in die Ferne. Danach liegt sie über zwei Monate lang in einem Wachkoma. «Ich war wach und doch nicht», erklärt sie. Ihre Familie und ihre Freunde wechseln sich an ihrem Bett ab. Isabelle arbeitet am Morgen und verbringt die Nachmittage bei Rébecca, bis ihr Mann am Abend kommt. Dann fährt sie nach Hause, hält im Wald an, um zu weinen, um dieses «zu viel» loszuwerden und neue Energie zu tanken. «Ich durfte nicht aufgeben. Sie ist meine Tochter», erklärt sie.

Nach und nach findet Rébecca ins Leben zurück, dank einem Ziel: Ihre Lehre als Hotelassistentin fortzusetzen. Aber die Folgen ihres Schädel-Hirn-Traumas sind schwer: Gedächtnisstörungen, rechtsseitige Lähmung, zeitliche Desorientierung, Aufmerksamkeitsstörungen, teilweise Anosognosie, Hemineglect der rechten Seite und Sprachstörungen. Bei ihrem Austritt aus dem CHUV ist Rébeccas Leben nicht mehr in Gefahr, aber sie muss es sich von Grund auf neu aufbauen.

Lange Rehabilitation

Nach dem viermonatigen Aufenthalt im CHUV wird Rébecca auf Verlangen ihrer Mutter in die Clinique romande de réadaptation (SUVA) in Sitten verlegt. «Das war ein wunderbarer, schöner Ort», erinnert sie sich und ihre Augen leuchten. Rébecca bleibt neun Monate und spricht dort auch zum ersten Mal seit dem Unfall wieder: «Ich liebe euch», flüstert sie ihren Eltern zu. Sie freundet sich mit einem 18-Jährigen an, der einen Töffunfall hatte. Diese Freundschaft stimuliert und motiviert Rébecca. Eines Tages gelingt es ihr, aufzustehen und wieder zu gehen. «Ich bin in einem Bett in die Klinik gekommen und habe sie an einem Rollator gehend wieder verlassen», erzählt sie stolz. Physio- und Ergotherapie sind nun Teil ihres Alltags, sie muss insbesondere ihren rechten Arm trainieren, den sie kaum bewegen kann.

Im Juli 2006 ist es Zeit, die SUVA zu verlassen. Es ist jedoch schwierig, eine Institution zu finden, die Rébeccas Bedürfnissen entspricht, nur wenige Einrichtungen sind auf Patientinnen und Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma ausgerichtet. Rébecca wechselt deshalb mehrmals die Einrichtung und den Kanton. Ihre Eltern sorgen stets dafür, dass sie auch regelmässig nach Hause kommen kann.

Neue Stabilität

Vier Jahre nach dem Unfall kommt Rébecca schliesslich in die «Cité radieuse» in Echichens. Ihr Wunsch, wieder im Service zu arbeiten, ist immer noch gleich stark. Sie erinnert sich sehr gern an ihre Lehre: «Ich liebte den Kontakt zu den Leuten, das war toll.» Sie versucht ihr Glück und bewirbt sich im Restaurant «Grain de Sel» der Institution GRAAP. Aber «mit dieser Hand, die nicht arbeiten will» und ihrem Kopf, «in dem ein Atomkrieg tobt», wie sie sagt, ist es ausgeschlossen, zu servieren. Zum Glück hat sie aber keine Schwierigkeiten, die Bestellungen an der Bar oder an der Theke auszuführen. Diese Tätigkeit gibt ihr auch ein Stück Selbstständigkeit zurück, die Wege von und zur Arbeit legt sie alleine zurück. Parallel dazu geht sie weiter in die Ergotherapie. Dort stellt sie Seidenschals her und macht Brandmalerei. Sie ist dynamisch und kontaktfreudig und immer zu haben, um Freunde oder die Familie zu treffen oder um auszugehen.

FRAGILE Vaud als Unterstützung

Rébecca nimmt auch gerne an den Aktivitäten von FRAGILE Vaud teil, besonders an den Bootsausflügen oder den «Monsterspektakeln», wie sie die Weihnachtsabende der Vereinigung nennt. Die Gesprächsgruppen für Angehörige haben ihrer Mutter sehr geholfen: «Ich habe gemerkt, dass ich nicht die Einzige bin, die so etwas durchmacht. Die anderen haben mir geholfen, gewisse Dinge zu verstehen, und der Austausch war wichtig für mich.»

Bei ihrem Unfall hat Rébecca dem Tod ins Auge geblickt: «Man muss keine Angst haben, es ist schön da oben», erzählt sie. Sie hat trotzdem das Leben gewählt, will es geniessen und vorwärtskommen: «Ich habe keine Lust, mich zu bemitleiden. Ich will leben!»

Text: Aurélie Vocanson, Sophie Correvon

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