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«Ich schränke mich selber nicht mehr ein»

Mit 18 Jahren erleidet Clément D.C. einen schweren Schlaganfall. Fünf Jahre später lebt der junge Künstler ganz im Hier und Jetzt.

Mit 18 Jahren erleidet Clément D.C. einen schweren Schlaganfall. Fünf Jahre später lebt der junge Künstler ganz im Hier und Jetzt.

Clément D. C.

Die Galerie G & J’s liegt in einer ruhigen Seitenstrasse nahe des Zentrums von Montreux. Einige der Bilder von Clément D.C. hängen an den weissen, nüchternen Wänden des Hauptraums, andere in einem Raum mit schwarzen Wänden, die für viel Kontrast sorgen. In den detailreichen Zeichnungen verbindet sich die Natur mit mechanischen Elementen. «In meinen Werken erinnere ich mich an das, was ich vom Spitalbett aus gesehen habe: Schläuche und lärmende Maschinen», erzählt Clément D.C.

Kribbeln als Symptom

Als 18-Jähriger verspürt Clément D.C. ein unangenehmes Kribbeln im linken Bein. Am selben Abend erleidet er einen Schlaganfall. «Ich war bei Bewusstsein, konnte mich aber nicht mehr mitteilen», erzählt er. Eine Stunde später bringt ihn die Ambulanz ins Spital Martigny und von da ins Spital Sitten. Danach wird er per Helikopter und wegen eines Gewitters auch per Ambulanz ans Genfer Universitätsspital (HUG) verlegt. In Genf erklärt der behandelnde Arzt den Eltern, dass es aufgrund einer arteriovenösen Malformation (AVM) zum Hirnschlag gekommen ist. «Der Druck im Gehirn wurde so hoch, dass ihm ein Teil der Schädeldecke entfernt werden musste», erzählt Clément D.C.’s Mutter Geneviève D.C. bewegt. In dieser Nacht muss Clément D. C. zweimal reanimiert werden. Danach wird er für zwei Tage in ein künstliches Koma versetzt. Später erfährt er, dass sein Hund Biscotte während dieser Zeit nichts gefressen hat. Nach dem Aufwachen kann er zuerst nicht sprechen. «Meine Gedanken waren klar, aber der Sprachimpuls fehlte mir», berichtet Clément D.C.


18 Monate lang mit Helm

Während der drei Monate im Universitätsspital ist Clément D. C. nicht bewusst, dass seine linke Körperseite Probleme macht. «Ich stiess mich mit der linken Seite oft an Türrahmen und wusste nicht warum.» Lachend erinnert er sich: «Eines Tages hatte mich die Pflegerin in der Kantine nicht gut an meinem Stuhl fixiert. Da ich keine Spannung im Oberkörper hatte, glitt ich langsam zur Seite, bis ich auf Augenhöhe mit dem Teller und meine Hand zu weit weg vom Knopf war, mit dem ich jemanden hätte rufen können …» Aufgrund von zwei Infektionen und einer Blutblase muss das Einsetzen der entnommenen Schädeldecke zweimal verschoben werden. Um das Gehirn zu schützen, trägt Clément D. C. während eineinhalb Jahren einen Helm. Beim dritten Anlauf klappt es mit der Operation. «Danach leuchtete ich innerlich», erinnert er sich. Zur weiteren Rehabilitation geht er zur Physio-, Ergo- und Neuropsychologie in die Clinique romande de réadaptation (CRR) von Sitten, später bringen ihn seine Eltern ins Centre médical der Bains de Lavey und in die Klinik Nestlé.


Chronische Müdigkeit

«Vor dem Schlaganfall mochte Clément D.C. keine Eier und kein Caramel, aber genau das wollte er nach dem Aufwachen essen», erinnert sich Geneviève D.C. Seit dem Schlaganfall leidet ihr Sohn an Agora- und Klaustrophobie sowie chronischer Müdigkeit. Seine linke Körperseite hat sich nicht vollständig erholt. «Während der Rehabilitation machte ich grosse Fortschritte, nun geht es darum, meinen Arm und meinen Fuss zu trainieren, damit sich die Sehnen nicht verkürzen», erklärt Clément D.C. In der Klinik Nestlé konnte er eine Prothese testen, die für seinen Fuss perfekt war, aber die Invalidenversicherung (IV) weigert sich, für die Kosten aufzukommen. «Weshalb liess man ihn die Prothese testen, wenn sie von der IV nicht übernommen wird?», fragt sich seine Mutter. Die Prothese hätte auch die Muskeln der linken Körperseite gestärkt. Nun möchten die Ärzte seinen Fuss und seine Hand erneut operieren und sie in einer weniger schmerzhaften Position fixieren.
 

Vor und nach dem Schlaganfall

Sechs Monate vor dem Hirnschlag schenkte Clément  D.C. seiner Mutter ein Bild einer Person, welcher eine Schädelhälfte fehlte und bei der eine Körperhälfte deformiert war. «Es war ein vorherseherisches Bild», meint Geneviève D.C. dazu. Clément D. C. erzählt, dass er in dieser Zeit irrationale Ängste davor hatte, sich einer Gehirnoperation unterziehen zu müssen. Heute ist der «Survivor», wie ihn seine Freunde nennen, eine strahlende und fröhliche Persönlichkeit. «Ich zeichne so, wie ich es mir davor erträumt hatte. Ich schränke mich nicht mehr ein», erklärt er. Er schloss seine Ausbildung in Comiczeichnen und Illustration mit Bestnoten ab. «Mein Traum war, die Ecole des Gobelins in Paris zu besuchen, aber das wäre zu intensiv und anstrengend für mich», bedauert er.

Seine Mutter und er haben gelernt, echte Freunde von jenen zu unterscheiden, die sich zurückgezogen haben. Sie stiessen auch auf Unverständnis: «Die Leute haben Angst, dass ihnen dasselbe passieren könnte», erklären sie. Heute nimmt sich Clément D. C. die Zeit, die er braucht, tut sich Gutes und gewinnt an Selbstvertrauen. Er lebt im Hier und Jetzt. Drei Gegenstände sind ihm wichtig: Sein Skizzenbuch, das er immer bei sich hat, sein Joystick für Videospiele, die alle physischen Grenzen aufheben, und Essstäbchen, denn Clément D.C. interessiert sich für Asien und lernt Chinesisch. Eine weitere Leidenschaft ist die Permakultur. Das ist ein landwirtschaftliches, soziales, politisches und wirtschaftliches Konzept, das auf dem Modell und den Eigenschaften eines natürlichen Ökosystems basiert. «Wir trauen uns kaum, im Gemüsegarten etwas anzufassen, wenn Clément da ist», lacht seine Mutter.
 

Ausstellung für FRAGILE Suisse

FRAGILE Suisse ist wichtig für Clément D.C. «Ich sah die Flyer im HUG und im CRR von Sitten, und auch die Pflegerinnen machten mich auf FRAGILE Suisse aufmerksam», erzählt er. Jetzt, wo sich seine Situation stabilisiert hat, möchte er dazu beitragen, die Vereinigung in der Bevölkerung bekannter zu machen. «Die Leute müssen wissen, dass es FRAGILE Suisse gibt und dass auch Junge einen Schlaganfall erleiden können. Die Geschichten anderer Betroffener zu lesen, hat mir gut getan und mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin.» Deshalb organisiert Clément D.C. eine Ausstellung in der G & J’s Art Gallery in Montreux, die von seiner Mutter und seiner Schwester geführt wird. Die Vernissage findet am Mittwoch, 15. November statt, die Ausstellung dauert bis zum 15. Dezember 2017. Der Erlös aus dem Bilderverkauf geht an FRAGILE Suisse.

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