Birgit Hohnecker, wie kann Kunst Betroffenen nach einer Hirnverletzung helfen?
Oftmals finden Betroffene keine richtigen Worte, wie sie ihren Zustand nach einer Hirnverletzung beschreiben sollen. Es hat sich so viel geändert, man kennt sich teilweise selbst nicht mehr. Doch dies in Worte zu fassen, ist häufig schwer. Kunst kann in solch einem Fall helfen, sich auf eine andere Art und Weise auszudrücken. Ein Ventil, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Was passiert im Gehirn, wenn jemand künstlerisch/kreativ tätig ist?
Kreativität im Gehirn findet nicht an einem speziellen Ort oder in einer bestimmten Gehirnregion statt. An kreativen Prozessen sind immer mehrere verschiedene Hirnstrukturen beteiligt.
Welche Art der Kunst eignet sich besonders gut? Welche weniger?
Das kommt immer auf die betreffende Person an. Das Wichtigste ist einfach, Spass und Freude an dem zu haben, was man macht. Sobald ein innerer Druck dahintersteckt, etwas unbedingt machen zu müssen, womöglich um sich selbst oder anderen etwas zu beweisen, führt dies meist zu Frust und Verzweiflung, und genau das sollte ja nicht passieren.
Und eignet sich künstlerisches Arbeiten nach jeder Art von Hirnverletzung? Oder gibt es auch Hirnverletzungen, bei denen es gar kontraproduktiv ist?
Grundsätzlich kann Kunst nach jeder Hirnverletzung ausgeübt werden. Natürlich muss man schauen, was geht. Jemand, der eine Halbseitenlähmung hat und seine dominante Hand nicht benutzen kann, kann auch keine detailgenauen Zeichnungen anfertigen. Allerdings geht es, mit der nichtdominanten Hand einfach Farbe auf eine Leinwand zu bringen und sich so auszudrücken. Jemand mit einer Sprachstörung kann vielleicht keine Geschichten schreiben, seine Gefühle aber zum Beispiel mithilfe von Fotos zum Ausdruck bringen. Kreatives Arbeiten kann meiner Meinung nach nur dann kontraproduktiv sein, wenn Erwartungen mitspielen, die nicht erfüllt werden können oder nicht umsetzbar sind.
Sie leiten Fotokurse für Betroffene. Wie eignet sich die Fotografie für Betroffene?
Durch das Fotografieren können Betroffene sich ausdrücken und zeigen, wie sie die Welt sehen, ohne sich dafür erklären zu müssen. Jeder kann seinen eigenen Blickwinkel darstellen. Ein und dasselbe Motiv bringt oftmals viele verschiedene Bilder hervor. Die Fotos hinterher in der Gruppe gemeinsam anzuschauen, ist für die Teilnehmenden interessant und fördert auch wieder den eigenen Ideenreichtum.
Betroffene, die sich gern künstlerisch ausdrücken möchten, aber es nicht können, nicht wissen wie, wie fangen diese am besten an?
Das Beste um anzufangen ist, den Mut zu haben, einfach mal etwas auszuprobieren. FRAGILE Suisse bietet oftmals Kurse nur für ein oder zwei Tage an. Falls man am Ende zu dem Schluss kommt, dass es einem nicht gefallen hat, dann ist man um diese Erfahrung reicher geworden. Und falls es Spass gemacht hat, ist vielleicht ein neues Hobby gefunden, das neue und interessante Dinge bereithält.