Dass Astrid Tanner vor 30 Jahren anfing, sich für Menschen mit Hirnverletzung und Angehörige einzusetzen, hing mit ihrem eigenen Schicksal zusammen: Ihr damals 21-jähriger Sohn Silvio wurde in Kenya, wo er als Tauchlehrer arbeitete, von einem betrunkenen Autofahrer angefahren. Die Diagnose war niederschmetternd: Schweres Schädel-Hirn-Trauma. Von diesem Moment an ist ihr Sohn schwerstbehindert.
Doch Astrid Tanner wollte sich nicht im Selbstmitleid suhlen. «Ich habe erfahren, dass Menschen mit Hirnverletzung und ihre Angehörigen keine Anlaufstelle und keine Lobby in der Schweiz haben, anders als etwa Paraplegiker oder Blinde», erinnert sie sich. Tanner begleitete deshalb 15 Jahre die erste Zürcher Selbsthilfegruppe für hirnverletzte Menschen und war aktives Gründungsmitglied des «Schweizerischen Vereins für hirnverletzte Menschen» (SVHM; heute: Fragile Suisse).
Astrid Tanner unterstützte und beriet als Gründungsmitglied Betroffene und Angehörige. Sie erinnert sich, dass die Anfangszeiten nicht einfach waren. An allen Ecken und Enden fehlte es, vor allem an Finanzen. Auch war es schwierig, für Betroffene geeignete Pflegeplätze zu finden, die Rehabilitationsmöglichkeiten und Unterstützung der Ärzte waren klein. Rehakliniken, spezialisiert auf Menschen mit Hirnverletzung, gab es noch kaum.
«Uns war es wichtig, dass die Betroffenen, vor allem junge Betroffene, nicht einfach in Altersheime oder in die Psychiatrien abgeschoben werden. Schön war es, was wir mit unzähligen Aufklärungsgesprächen bei den Ärzten erreichen konnten. Es war ein Kampf, aber es hat sich gelohnt.»
Tanner und ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiteten allesamt freiwillig und unentgeltlich. Dies änderte sich, als die Organisation wuchs und 1996 die Dachorganisation FRAGILE Suisse entstand. «Das war für mich der Zeitpunkt, mich aus der Organisation zurückzuziehen und mich mehr für die regionale Vereinigung FRAGILE Zürich einzusetzen», erzählt die heute 76-Jährige. Astrid Tanner war mit anderen zusammen auch eine treibende Kraft bei der Gründung der Zürcher Regionalvereinigung. Bis ihr Mann krank wurde, setzte sie sich bei der Regionalvereinigung ein.
Mittlerweile hat sich Astrid Tanner – verdienterweise – aus FRAGILE Zürich zurückgezogen. Trotzdem steht sie Betroffenen und Angehörigen noch gerne mit Rat und Tat, ihrem Wissen und ihrer eigenen Erfahrung zur Seite.
Text: Carole Bolliger