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«Es ist wichtig, dass Betroffene und Arbeitgebende die Erwartungen und Möglichkeiten gegenseitig klären»

Die Selbstbestimmung sollte niemanden davon abhalten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das sagt Yvonne Bachmann Kneidl. Sie ist Geschäftsleiterin im Zentrum für berufliche Abklärung für Menschen mit Hirnverletzung ZBA.

Die Selbstbestimmung sollte niemanden davon abhalten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das sagt Yvonne Bachmann Kneidl. Sie ist Geschäftsleiterin im Zentrum für berufliche…

Yvonne Bachmann Kneidl

Yvonne Bachmann Kneidl, Geschäftsleiterin ZBA

Trotz einer Hirnverletzung selbstbestimmt leben – dazu gehört auch, berufstätig zu sein. Was sind die grössten Herausforderungen für Betroffene, wenn sie nach einer Hirnverletzung wieder ins Berufsleben einsteigen wollen?

Grundsätzlich können Herausforderungen sehr unterschiedlicher Natur sein, je nachdem, welche Einschränkungen durch die Hirnverletzung entstanden sind und welchen Einfluss diese auf die frühere Berufstätigkeit oder auf persönliche berufliche Zukunftswünsche haben.

Der Wille, selbstbestimmt zu leben, ist gut nachvollziehbar und wir befürworten diesen sehr. Die Selbstbestimmung sollte jedoch niemanden davon abhalten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die frühzeitige IV-Anmeldung, und damit verbunden ein begleiteter Wiedereinstieg, kann Betroffene wie Arbeitgebende unterstützen und entlasten.

Nicht immer ist beim Wiedereinstieg ganz klar, was beruflich möglich ist, weder für Betroffene noch für Arbeitgebende. Die Selbstwahrnehmung kann sich von der Fremdwahrnehmung stark unterscheiden, das ist anspruchsvoll.

Man muss sich damit auseinandersetzen, dass womöglich nicht mehr alles so geht wie früher. Gewisse Defizite lassen sich nicht mit «länger» oder «schneller» arbeiten kompensieren. Die Belastbarkeit vieler Betroffener ist nach dem Ereignis gesunken, einen guten Umgang damit zu finden, ist wichtig, sonst droht eine Überlastung.

Sie sind Geschäftsleiterin im Zentrum für berufliche Abklärung für Menschen mit Hirnverletzung (ZBA). Wie können Sie Betroffenen helfen?

Beim sorgfältigen Aufbau der Arbeitsfähigkeit, einer realistischen Einschätzung der vorhandenen Grenzen und Ressourcen und beim (Wieder-)Einstieg ins Erwerbsleben.

Das ZBA ist eine spezialisierte berufliche Arbeits- und Abklärungsstelle und begleitet seit mehr als 25 Jahren Menschen mit Hirnverletzungen und neurologischen Erkrankungen. Im Auftrag der IV-Stellen und Privatversicherungen unterstützen wir Betroffene im Aufbau der Arbeitsfähigkeit, ermitteln während einer Abklärung die Eingliederungsmöglichkeit (zurück in den alten Beruf oder in eine berufliche Neuorientierung) und schaffen die Voraussetzungen für ihre Integration ins Berufsleben. Wir unterstützen Betroffene bei der Ermittlung beruflicher Perspektiven (angestammt oder Neuorientierung) und begleiten den Einstieg bei Arbeitgebenden im ersten Arbeitsmarkt.

Welche Berufe eignen sich besonders gut für Menschen mit Hirnverletzung?

Das ist abhängig davon, welche Einschränkungen durch die Hirnverletzung entstanden sind und natürlich auch, welche beruflichen Erfahrungen jemand mitbringt. Eine generelle Aussage dazu zu machen, ist unmöglich. Abhängig von den Folgen einer Hirnverletzung ist eine Wiederaufnahme der angestammten Tätigkeit nicht immer möglich und eine berufliche Neuorientierung wird erforderlich.

Welche Voraussetzungen müssen für eine berufliche Widereingliederung gegeben sein, für Betroffene, aber auch für Arbeitgebende?

Es erscheint mir wichtig, dass Betroffene und Arbeitgebende die Erwartungen und Möglichkeiten gegenseitig klären. Zentral bei der Wiedereingliederung ist die Leistungsfähigkeit. Sei es zurück an einem bestehenden Arbeitsplatz oder auch bei einer Neuorientierung. Betroffene wie Arbeitgebende müssen sich im Klaren sein, welche Leistungsfähigkeit zu erwarten ist und welche Bedingungen am Arbeitsplatz gegeben sein müssen, damit Betroffene eine konstante Leistung erbringen können. Wenn die Qualität der Arbeit stimmt, können Arbeitgebende in der Regel damit umgehen, wenn jemand etwas mehr Zeit dafür benötigt.

Sie sprechen den Arbeitsplatz an. Wie kann man diesen besser auf die Bedürfnisse von Betroffenen abstimmen?

Indem man Einschränkungen berücksichtigt und bespricht, welche Bedingungen sich günstig auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Beispielsweise kann die zeitliche Belastbarkeit nach einem Ereignis stark gesunken sein. Da hilft es, wenn ein tieferes Arbeitspensum möglich wird und/oder bei Bedarf zusätzliche Pausen gemacht werden können. Ist eine höhere Ablenkbarkeit durch äussere Reize – wie Gespräche, Geräusche durch Maschinen etc.– Thema, hilft ein ruhiger Arbeitsplatz, sich zu fokussieren. Wenn jemand mehr Zeit benötigt, um eine Aufgabe zu erfassen, ist es wichtig, dass dieser Umstand bei einer Einarbeitung mitberücksichtigt wird und Betroffenen ausreichend Zeit gegeben wird.

Ich glaube, am vielversprechendsten ist es, wenn offen über die eigenen Grenzen und Möglichkeiten mit Vorgesetzten und dem Team gesprochen werden kann und gemeinsam nach einem gangbaren Weg und geeigneten Aufgaben gesucht wird.

Was ist ausschlaggebend für eine geglückte Wiedereingliederung ins Berufsleben?

Es braucht einen ausgeglichenen «Energiehaushalt». Erwerbstätigkeit und andere Lebensbereiche – wie das Erfüllen von familiären Aufgaben, das Pflegen von sozialen Beziehungen und Entspannung/Erholung – müssen eine gesunde Balance haben. Alle Lebensbereiche können uns sowohl Energie geben wie auch Energie abverlangen. Das gilt nicht nur für Menschen mit Hirnverletzungen. Dennoch glaube ich, dass Betroffene noch aufmerksamer mit ihrer Energie haushalten müssen. Nur so kann die Leistung, die Betroffene bei der Arbeit erbringen, über die Dauer aufrechterhalten werden und das Arbeitsverhältnis bestehen bleiben. Zusammen mit Wertschätzung am Arbeitsplatz kann so die Erwerbstätigkeit einen positiven Einfluss auf alle Lebensbereiche haben.

Interview: Carole Bolliger

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