Wie fühlt sich das an, wenn man mit einer Hirnverletzung lebt? Wie prägt es den Alltag? Diese Fragen interessierten Marianne Mani, als sie 1997 zur noch jungen Organisation FRAGILE Suisse stiess. Und sie stellte diese Frage in der Folge zahlreichen Menschen mit Hirnverletzung – zunächst in einem ThinkTank, in dem Betroffene Texte zu grundsätzlichen Fragen des Lebens mit einer Hirnverletzung erarbeiteten. Später dann im Rahmen der Weiterbildungen gemeinsam mit Betroffenen – «KoreferentInnen» genannt. Zusammen mit ihnen besuchte die heute 72-jährige Zürcherin Wohnheime, Unternehmen, Samaritervereine und andere Gruppierungen. «Wir wollten das Verständnis für Hirnverletzung tief und breit in der Bevölkerung verankern und zwar von der Basis her, also indem die Menschen direkt mit Betroffenen in Kontakt traten», erklärt Mani.
Die Nachfrage nach diesem Angebot war schon in der Frühphase von FRAGILE Suisse gross. «Diese Zeit war chaotisch, wie auch unser damaliges Büro – aber visionär, faszinierend und inspirierend», erzählt Mani. 1996 strahlte das Schweizer Fernsehen Ruedi Weltens Film «Gratwandern» mit sieben Porträts von Betroffenen aus, was dazu führte, dass das Thema Hirnverletzung und die kleine Organisation FRAGILE Suisse mit damals gerade 3,5 Vollzeitstellen in der ganzen Deutschschweiz bekannt wurden. «Die Telefone liefen heiss», erinnert sich Mani. Die Menschen wünschten sich Beratung, Informationen oder interessierten sich für Erfahrungen von Menschen mit Hirnverletzung. Deshalb konzipierte Mani mit Maria Gessler, Vorstandsmitglied und Betroffene, ein Angebot von Weiterbildungen mit KoreferentInnen und entwickelte es weiter.
«Unser Ziel war es immer, die KoreferentInnen auf die gleiche Stufe zu stellen wie die FachreferentInnen, denn auf ihre Weise haben sie genauso viel Erfahrung mit dem Thema.» Marianne Mani begleitete und förderte «ihre» KoreferentInnen und pflegt noch heute Kontakte zu einigen davon. «Für viele war es ein weiter Weg, bis sie vor Publikum frei über ihr Schicksal erzählen konnten. Ich wollte sie diesen Weg nicht alleine gehen lassen.» Den Betroffenen gab dies auch einiges zurück: «Jemand sagte mir, seine Hirnverletzung sei für ihn nicht sinnlos gewesen, wenn er durch seine Erfahrung anderen zu Verständnis verhelfen kann.»
Nach ihrer Pensionierung nahm sich Mani Zeit für Reisen, stellte Bilder und Fotografien aus und gab einen Gedichtband heraus. Müde ist sie nicht. Und ihr Herzblut ist noch immer bei den Schicksalen von Menschen mit Hirnverletzung. So arbeitet sie derzeit an einem Buch über die langjährigen Entwicklungsgeschichten von Betroffenen. «Nach dem Ereignis ist die Hirnverletzung ja nicht vorbei – eigentlich fängt das Leben damit dann ja überhaupt erst an.» Auf die Betroffenen hören – das war immer das Motto von Marianne Mani, und diese Maxime gab sie FRAGILE Suisse nachhaltig mit auf dem Weg.
Text: Annette Ryser