Kevin Lötscher bedankt sich in seinem Buch «Eiszeit» für zwei Leben, obwohl er sich das Zweite nicht gewünscht hat. An den Höhepunkt seines ersten Lebens – als er am 9. Mai 2011 als Eishockey-Nationalspieler an der A-WB gegen die USA zwei Tore schiesst – hat er selbst keine Erinnerung mehr. Er weiss nur, dass genau dieser Moment sein Kindheitstraum gewesen war und seine Gefühle währenddessen unfassbar gewesen sein mussten. Doch fünf Tage später bricht nicht nur sein Kindheitstraum, sondern auch seine ganze Welt zusammen. Am 14. Mai 2011 wird er im Wallis von einer betrunkenen Autofahrerin angefahren und 30 Meter weit durch die Luft geschleudert.
Dieser Unfall ist das Ende seines ersten Lebens und der Anfang seines Zweiten. Als klar ist, dass er überlebt hat, muss er bei null beginnen und alles wieder neu erlernen. Obwohl seine Ärzt:innen eine Rückkehr aufs Eis nach dem Unfall für unmöglich halten, gelingt ihm genau das durch hartes Training. Doch Kevin Lötscher musste sich irgendwann eingestehen, dass ein Weg zurück in die Eishockey-Profiwelt schlichtweg nicht möglich ist. Denn trotz körperlicher Topverfassung bleiben Folgen nach dem Schädel-Hirn-Trauma. Er ist nicht mehr in der Lage so schnell zu denken und ihm fehlt die Koordination, die für den Profisport notwendig ist.
Ein Treffen mit Daniel Albrecht, ehemaliger Ski-Rennfahrer, der ebenfalls ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt, markiert einen entscheidenden Wendepunkt auf seinem Weg. Zum ersten Mal fühlte er sich mit den Folgen der Hirnverletzung wirklich verstanden. «Ich dachte, ich spinne also nicht, das ist wirklich so […]».Im Februar 2014, drei Jahre nach dem Unfall, gibt er schliesslich seinen sofortigen Rücktritt aus dem Profisport bekannt. Sein Weg in ein zweites Leben beginnt.
Doch wenn man sich eingestehen muss, dass nichts mehr ist, wie es einmal war, stellt sich unweigerlich die Frage: «Wie macht man weiter?» Kevin Lötscher versuchte Verschiedenes, dabei waren neben Familie und Freunden vor allem ein Rückzugsort – sein Happy Place – sehr wichtig. Seine Wegbegleiter:innen, die sein Leben prägten, kommen im Buch immer wieder zu Wort: Neben seiner Familie und Freunden sind das auch die Eishockeywelt und Therapeut:innen. Sie alle beschreiben Kevin als eine starke Frohnatur und bewundern seine unbändige Willenskraft, dank der er wieder zurück ins Leben gefunden hat.
Heute hat Kevin Lötscher seine eigene Firma SORGHA (Sorge tragen). Anhand seines gleichnamigen Modells, welches er selbst entwickelt hat, teilt er seine Erfahrungen mit Interessierten um zu zeigen, dass man immer Spielmacher seines eigenen Lebens ist. Dass der Name seines Unternehmens nicht nur Marke, sondern Kevins Lebensmotto ist, wiederspiegelt sich in seinen Schlussworten: Deicht dra – Sorg ha (Denkt daran – Sorge tragen).