«Angehörige sind immer mitbetroffen»

Bei der Genesung und Rehabilitation von Menschen mit Hirnverletzung spielen die Angehörigen eine entscheidende Rolle. Wichtig ist dabei, dass sie sich selbst nicht vergessen. Wieso und wie sie das schaffen, sagt Julia Eugster, Leiterin Dienstleistungen bei FRAGILE Suisse.

Bei der Genesung und Rehabilitation von Menschen mit Hirnverletzung spielen die Angehörigen eine entscheidende Rolle. Wichtig ist dabei, dass sie sich selbst nicht vergessen. Wieso…

Julia Eugster blickt lächelnd in die Kamera und steht vor einem grünen Hintergrund mit vielen Pflanzen.

Warum sollten sich Angehörige auch beraten lassen? Sie selbst haben ja keine Hirnverletzung.

Angehörige sind immer mitbetroffen. Das Leben ändert sich auch für sie. In der Akutphase nach der Hirnverletzung können es die Angst sein, ob die betroffene Person überlebt, und die Sorgen, wie es weitergeht. Es tauchen viele Unsicherheiten und Fragen auf. Häufig sind das Pflegepersonal, medizinisches Fachpersonal oder der Sozialdienst nicht gut für Angehörige erreichbar. Da kann es hilfreich sein, wenn jemand ein offenes Ohr hat und neutral beraten kann, welche Schritte möglich sind. Zu einem späteren Zeitpunkt kommen viele mit Fragen zu uns, wie es weitergehen kann betreffend Wohnen, Arbeit, Partnerschaft, Finanzen, und sind froh, wenn wir sie bei der Auslegeordnung unterstützen und sie konkrete Fragen stellen können.

Nach einer Hirnverletzung dreht sich in den ersten Tagen und Wochen alles um die betroffene Person. Nicht selten vergessen sich Angehörige im Trubel selbst. Wie können sie ihre eigene Selbstfürsorge und ihr Wohlbefinden sicherstellen?

Das ist für Angehörige häufig sehr schwierig. Zu Beginn können Angehörige kaum gebremst werden, denn es ist für sie die einzige Möglichkeit, etwas zu tun, und sie funktionieren einfach. Wenn man sie darauf anspricht, kann dies auch befremdend wirken. Sie sollten aber dabei unterstützt werden, sich um sich selbst zu kümmern, wenn sie dazu bereit sind. Das kann beispielsweise durch einen Besuchsplan sowie die Übergabe von Aufgaben an Dritte in der Haushaltsführung erfolgen. Aber vor allem durch das Verständnis im Umfeld, dass Angehörige auch betroffen sind.

Viele Angehörige haben den Betroffenen gegenüber Schuldgefühle. Wieso und was können sie dagegen tun?

Angehörige durchlaufen selbst Verarbeitungsphasen, einen Trauerprozess. Am Anfang sind es der Schock und die Überforderung. Sie können mit Verzweiflung, Angst, Panik, Erstarrung reagieren. Auf den Schock kann die Überkompensation folgen. Sie tun dann «alles» Mögliche und überlasten sich dadurch selbst. Dann gibt es die Phase der Ermüdung. Trauer und Depression können folgen, in der Angehörige sich teilweise auch zurückziehen, sich dabei aber schuldig fühlen. Das Zurückziehen, die eigenen Grenzen erkennen ist jedoch ein wichtiger Teil, damit Angehörige nicht ausbrennen. Denn die Phase der Neuorientierung und Anpassung braucht sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen viel Zeit und Energie.

Wie kann FRAGILE Suisse angehörigen Kindern und Jugendlichen helfen?

Wie für Erwachsene ist es auch für Kinder und Jugendliche schwierig zu verstehen, wenn Angehörige plötzlich anders sind. Der Vater oder die Mutter ist nicht mehr da, hält Lärm nicht mehr aus, kann den Haushalt nicht mehr führen… Das ist schwierig zu verstehen. FRAGILE Suisse hat darum das Kinderbuch «Silberfunken» mit Begleitheft erstellt. Für Jugendliche gibt es die spezialisierte Website FRAGILE Family. In kurzen und illustrativen Videos erfahren sie dort mehr über Hirnverletzungen und lernen das Verhalten ihres betroffenen Elternteils besser einzuordnen.

Interview: Carole Bolliger

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