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«20 Jahre lang konnte ich nicht kommunizieren»

Floriane Willemin hat 1992 ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. 20 Jahre lang war sie nicht in der Lage, zu kommunizieren. Dank der Begegnung mit Heilpädagogin Laure Nusbaumer kann sie heute aus der Stille heraustreten.

Floriane Willemin hat 1992 ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. 20 Jahre lang war sie nicht in der Lage, zu kommunizieren. Dank der Begegnung mit Heilpädagogin Laure Nusbaumer kann…

Floriane Willemin

Floriane Willemin. Foto: Francesca Palazzi

Am 24. Mai 1992 wird Floriane Willemin Opfer eines Verkehrsunfalls. Ihr Leben gerät aus den Fugen. «Ich war eine lebensfrohe junge Frau, habe das Leben genossen und war topfit», erzählt sie. Floriane wird mit dem Helikopter ins Berner Inselspital geflogen. Etwa 20 Tage lang liegt sie dort im Koma. Dann wird sie in ein anderes Spital verlegt, wo sie auf der Intensivstation künstlich beatmet wird. Eines Tages gelingt es ihr selbstständig zu atmen und sie öffnet die Augen. Ihre Mutter, Marie-Andrée Willemin, sagt: «Floriane ist aus dem Koma erwacht. Sie schien zu verstehen, was wir sagten, und darauf zu reagieren, aber niemand glaubte mir.» Tatsächlich werden die beobachteten Anzeichen von den Fachpersonen im Spital als nicht relevant eingestuft.

Anschliessend verbringt Floriane, die gerade mal 17 Jahre alt ist, über ein Jahr in einem jurassischen Altersheim, bevor sie für acht Monate ins REHAB Basel und danach für 16 Jahre ins Spital Pruntrut zur Langzeitpflege verlegt wird. Im Juni 2011 zieht sie ins Foyer des Fontenattes in Boncourt um, wo sie bis heute wohnt. In diesem Heim lernt sie die Heilpädagogin Laure Nusbaumer kennen, die Floriane die richtige Unterstützung und die geeigneten Hilfsmittel bietet, um wieder kommunizieren zu können.

Gefangen im eigenen Körper
Nach ihrem Unfall kann sich Floriane nicht bewegen und ist nicht in der Lage, sich auszudrücken. «Ich bin aus dem Koma erwacht und konnte nicht mehr sprechen. In diesem Moment hat die Welt aufgehört, sich zu drehen», erzählt sie. «Ich sagte mir, dass ich versuchen würde allen zu zeigen, dass ich genauso klug bin wie zuvor. Aber ich hatte Probleme, überhaupt darauf aufmerksam zu machen, dass ich bei vollem Bewusstsein war. Ich erinnere mich, dass ich mich bemüht habe, mir Gehör zu verschaffen. Ich habe oft geweint.» 20 Jahre lang denken alle, dass Floriane im Koma liegt. Nur ihre Mutter bemerkt ihre Versuche, zu kommunizieren. Jahre später wird dies von Laure Nusbaumer bestätigt. Dank der Beharrlichkeit der Heilpädagogin finden sie eine Möglichkeit, wie Floriane sich ausdrücken kann. Sie kommuniziert zunächst mit zwei Karten: Die rote Karte bedeutet «Nein» und die grüne «Ja». Heute kommuniziert sie mithilfe eines Tablets, was ihren Bedürfnissen besser entspricht. Derzeit sucht Laure Nusbaumer zusammen mit der Firma Active Communication nach einem Kommunikationsmittel, das es Floriane ermöglicht, dank einer Tastatur ihre Sätze ohne fremde Hilfe zu schreiben. «Laure hat für mich einen Weg gefunden zu kommunizieren, und jetzt bin ich nicht mehr in meinem Körper gefangen», sagt Floriane.

Zwischen Floriane und Laure hat sich eine enge Verbindung aufgebaut. «Ich verbringe sehr gerne Zeit mit Floriane. Anfangs habe ich sie immer wieder stark gefordert, damit sie sich weiterentwickeln kann», so Laure. Bei den ersten Versuchen der Heilpädagogin, mit Floriane ins Gespräch zu kommen, glaubt diese, dass sich die Therapeutin über sie lustig macht. «Alles, was Floriane brauchte, um wieder kommunizieren zu können, war die richtige Person, die ihr helfen wollte», sagt Florianes Mutter lächelnd. Die junge Frau sieht nur auf dem unteren Viertel des linken Auges, hat eine Hemiparese* und ermüdet schnell. Regelmässige Botox-Injektionen helfen ihr, ihre Muskeln zu entspannen.

Trost finden in anderen Geschichten
Während dieser langen Jahre im Spital und später im Heim besucht Florianes Familie sie häufig und unterstützt sie jederzeit und überall. Heute weiss die Mutter, dass sie mit ihrer Beobachtung, dass Floriane all die Jahre bei Bewusstsein war, recht hatte: heute kann Floriane mit Unterstützung von Laure Nusbaumer berichten, was sie in all der Zeit erlebt hat: «Für den Arzt im Krankenhaus vegetierte ich bloss vor mich hin. Für sie alle lag ich noch im Koma und war am Ende. Aber das stimmte nicht. Ich wusste, ich bin eine intelligente Frau und will leben. Ich werde für meine Familie kämpfen, die zusammenhält und die ich liebe. Zum Glück war meine Mutter da und kümmerte sich um mich.» Diese Zeit war für Marie-Andrée Willemin sehr schwer zu ertragen. Trost findet sie, wenn sie im Magazin von FRAGILE Suisse die Berichte von Betroffenen liest. «Ich hätte mich gerne an einer Gesprächsgruppe beteiligt, das hätte mir gutgetan. Aber damals hatte ich nur sehr wenig Zeit», sagt sie bedauernd.

Mithilfe ihres Tablets äussert Floriane vor einiger Zeit den Wunsch, allein in einer eigenen Wohnung zu leben, in der Nähe ihrer Mutter und ihres Umfelds. Um ihren Wunsch zu erfüllen, wird nach einem geeigneten Kommunikationsmittel gesucht, mit dem sie ohne fremde Hilfe per Knopfdruck die Notdienste anrufen und ihr Problem erklären kann. Bisher wurde noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden, aber Floriane Willemin, ihre Mutter und Laure Nusbaumer geben nicht auf. An Mut und Entschlossenheit mangelt es ihnen nicht.

*Eine Hemiparese ist eine unvollständige Lähmung einer Körperseite.

Text: Megan Baiutti

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