Können Sie uns ein wenig aus der Zeit nach dem Unfall Ihrer Frau erzählen? Wie war der Ablauf mit Spital/Reha und der Rückkehr nach Hause?
Nach dem Unfall war meine Frau ein Monat in der Intensivstation. Anschliessend verbrachte sie acht Monate in der Reha und danach drei Monate im betreuten Wohnen. Ich besuchte sie oft, auch Freunde und Familie waren sehr viel bei ihr. Leider mussten wir uns aber für eine Weile aufgrund von Corona isolieren – das war für uns eine schwierige Zeit. Ich wollte bei ihr sein und sie unterstützen, konnte es aber nicht.
Inzwischen ist sie seit über eineinhalb Jahren wieder zuhause und ist in den meisten Dingen selbstständig. Wir teilen uns die Aufgaben so gut wie möglich auf. Zum Glück ist ihr Hobby Haushalt – Kochen und Administratives liegen hingegen bei mir. Einkäufe erledigen wir gemeinsam.
In schwierigen Zeiten kommen auch Zweifel auf. War es Ihnen manchmal zu viel und haben Sie vielleicht sogar an eine Trennung gedacht?
Das war absolut nie ein Gedanke. Für mich war klar, dass wir das gemeinsam durchstehen und einen Weg finden würden. Ob es bei einer totalen Lähmung oder Bettlägerigkeit anders wäre, kann ich nicht sagen. Ich habe gelernt, damit umzugehen und wir haben es gut zusammen.
Natürlich hätte ich mir in vielen Bereichen mehr Unterstützung gewünscht. Doch Freunde und Familie sind selber in Beruf und Umfeld eingebunden und haben nur begrenzt Zeit. Und vom System und den Möglichkeiten hatte ich zu Beginn keine Ahnung.
Könnten Sie genauer darauf eingehen? Haben Sie auch versucht, für sich selber Hilfe zu holen?
Ja, versucht habe ich es. Doch wo suchen, wenn man keine Ahnung hat? Ich brauchte vor allem tatkräftige Hilfe, die mich hätte entlasten können. Ein gewisses Mass davon habe ich dann auch über einen Putzdienst via Spitex erhalten, dies jedoch erst, nachdem ich nach einem Burnout aus der Klinik entlassen wurde – dies wohl auch eine Folge des Unfalls meiner Frau.
Sie sind Mitglied bei FRAGILE Zürich. Inwiefern konnten Ihnen deren Angebote helfen?
Die Teilnahme an der Angehörigengruppe von FRAGILE Zürich war für mich eine gute Möglichkeit, mich mit anderen auszutauschen. Dort erhielt ich auch den einen oder anderen Tipp, den ich im Alltag anwenden kann.
FRAGILE Zürich veranstaltete letztes Jahr einen Anlass zum Thema «Umgang mit dem Schicksal Hirnverletzung. Woher nehme ich als Angehörige:r die Kraft? Wo erhalte ich Unterstützung?». An der Podiumsdiskussion vertraten Sie die Sicht der Angehörigen und erzählten von Ihrer Situation. Für jene, die nicht teilnehmen konnten – was braucht es Ihrer Meinung nach, um die Situation für Angehörige zu verbessern?
Die Institutionen, bei denen die Patienten zuerst ankommen, sowie die Folgeinstitutionen (Reha) sollten die Angehörigen aufklären und die Möglichkeiten aufzeigen. Da reicht es nicht, einfach ein Blatt mit Informationen aufzulegen. Es müsste dort Fachpersonen geben, die sich Zeit für Angehörige nehmen können und sie begleiten.
Auch finanziell muss es bessere Unterstützung geben. Meine Frau besucht weiterhin Therapien, die alle unterschiedlich geregelt sind. Beispielsweise die Physio, die sehr wichtig wäre, müssen wir nun selber über die Krankenkasse abrechnen.
Viele Meldungen aus dem Publikum unterstützten Ihre Aussagen, dass die fachliche Begleitung nach Entlassung aus der Reha fehlt. Kennen Sie das Angebot LOTSE von FRAGILE Suisse? Dieses setzt nämlich genau dort an: Eine Fachperson begleitet Betroffene und Angehörige direkt nach der stationären Phase und zeigt ihnen die verschiedenen Möglichkeiten auf, wie es weitergehen kann.
Nein, von LOTSE habe ich bis jetzt noch nicht gehört. Es ist schade, dass es das Angebot in Zürich noch nicht gibt und ich nach dem Unfall meiner Frau nicht davon profitieren konnte. Denn es klingt danach, als wäre es genau das gewesen, was ich vermisste.
Wir wollen noch einmal auf Sie persönlich zurückkommen. Neben allem Frust, Ärger und Schmerz: Würden Sie sagen, die Erfahrung hat Sie und Ihre Frau näher zusammengeschweisst? Fühlen Sie sich mehr verbunden als vorher?
Ja. Allerdings mit der Konsequenz, dass ich mehr Rücksicht nehmen und mich einschränken muss. Das ist mir bewusst geworden und daran muss ich ständig arbeiten.
Was ist eine Aktivität, die Sie gerne zusammen machen?
Neben dem Einkaufen im Alltag machen wir gerne Ausflüge mit dem Zug. Das hat den Vorteil, dass sie einen Begleitpass der SBB hat. Damit muss nur ein Billett bezahlt werden, wenn wir beide gemeinsam reisen.
Was gibt Ihnen einen guten Ausgleich?
Meine Hobbys: Singen, Ahnenforschung und neu auch wieder der Job. Das beinhaltet auch organisieren von Anlässen, Events, was quasi ein Steckenpferd von mir ist. Und schlussendlich der Glaube.
Zu guter Letzt: Gibt es etwas, das Sie anderen Angehörigen auf den Weg geben möchtet?
Betet. Verliert den Glauben nicht.
Sich nicht verkriechen, auch wenn das oft leichter gesagt als getan ist. Hilfen annehmen. Natürlich müssen diese Hilfen auch gefunden werden und passend sein. Nicht jeder Fall ist gleich. Modern gesagt: Netzwerken ist wichtig. Hinausgehen, auch wenn die betroffene Partnerin nicht unbedingt will oder keine grosse Freude daran hat. Manchmal ist viel Überwindung von beiden Seiten notwendig, doch es ist extrem wichtig, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten oder neu zu knüpfen.