Nachdem er eine Freundin nach Hause gebracht hatte, wurde er auf dem Heimweg auf der Autobahn von einem betrunkenen Fahrer gerammt. Fabio erlitt bei diesem Verkehrsunfall im August 2021 ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er erinnert sich: «Ich war so stolz auf mein Auto und es endete auf dem Schrottplatz. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort.» Der damals 23-Jährige wurde sofort ins Universitätsspital Lausanne (CHUV) gebracht und in ein künstliches Koma versetzt. Als er wieder erwachte, hatte er keine Erinnerung an die letzten fünf Monate vor dem Unfall. Er öffnete zwar die Augen, war aber nicht wirklich bei Bewusstsein. Nach und nach begann er, seine linke Seite zu bewegen und Personen zu erkennen. Im Oktober des gleichen Jahres wurde der junge Mann mit dem Helikopter in das REHAB Basel verlegt.
Dort lernte er wieder sprechen und essen. Seine Mahlzeiten wurden zunächst püriert, damit er sie schlucken konnte. Als sein Ergotherapeut ihn einmal fragte, worauf er Lust hätte, meinte Fabio, er träume von einem Besuch bei McDonald's. «Das war das beste Essen meines Lebens», erinnert sich der heute 30-Jährige mit breitem Lächeln. Im September 2013 – über ein Jahr nach dem Unfall – kehrte Fabio nach Hause zurück.
Ein neues Leben
Vor dem Unfall war Fabio als kaufmännischer Angestellter in der Agentur für Sozialversicherungen tätig. Er genoss die Zusammenarbeit in einem kleinen Team und mit einem Freund, den er in der Ausbildung kennengelernt hatte. Aber sein Unfall veränderte alles. Er litt unter starken Gedächtnisproblemen und im REHAB Basel glaubte er, Personen zu erkennen, obwohl er sie noch nie getroffen hatte. Er konnte sich auch nur schwer Termine merken. Also lernte er, alles sorgfältig in die Agenda seines Telefons einzutragen, um nichts zu vergessen. Eine Neuropsychologin empfahl ihm zudem, an den Wochenenden Fotos zu machen, um sich an seine Erlebnisse zu erinnern. Diese Routine hat er bis heute beibehalten und er dokumentiert sein Leben in sozialen Netzwerken.
Seit dem Unfall leidet Fabio auch an einer Hemiplegie: Seine rechte Körperhälfte ist gelähmt und er kann sich ohne seinen elektrischen Rollstuhl nur schwer fortbewegen. Er passt sich seiner Umgebung an und benutzt für kurze Strecken gelegentlich einen Gehstock. «Ohne Hilfe tendiere ich dazu, beim Gehen von links nach rechts zu schwanken – wie ein Boot», witzelt der junge Mann, der grosse Mühe mit dem Gleichgewicht hat. Und er fügt hinzu: «Ich habe einen heftigen Schlag abbekommen; mein rechter Arm war komplett zertrümmert und man musste mir Metallplatten einsetzen. Jetzt bin ich eine Art Iron Man!» Er betrachtet den Unfall als eine Lebenserfahrung, die ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist, und er ist der Ärzteschaft, die ihn «gerettet» hat, zutiefst dankbar.
Nach seinem Unfall konnte Fabio nicht mehr sprechen. Also kommunizierte er, indem er die Buchstaben des Alphabets auf einem Blatt zeigte und so Wörter bildete. Regelmässige Logopädie-Sitzungen und Übungen zu Hause brachten Erfolg: «Seit ich wieder sprechen gelernt habe, bin ich nicht mehr zu bremsen», sagt er strahlend. Fabio tendiert dazu, dieselben Wörter mehrmals zu wiederholen, aber er hat seine Sprachkenntnisse bewahrt und kann sich immer noch fliessend in mehreren Sprachen verständigen. «Einige Ärztinnen und Ärzte im REHAB Basel konnten kein Französisch. Also haben wir uns auf Deutsch und Englisch verständigt. Ich glaube, das hat mir geholfen, ein gutes Niveau zu halten.»
Zerbrechliche Freundschaften
Die Zeit nach dem Unfall war schwierig. «Viele meiner Freundinnen und Freunde haben mich fallen gelassen, weil sie nicht wussten, wie sie sich mir gegenüber verhalten
sollten. Zwischen uns war eine enorme Diskrepanz – vor allem, weil wir sehr jung waren», erinnert sich Fabio. Andere zogen um, was es kompliziert machte, in Kontakt zu bleiben. «Aber ich habe neue Freundschaften geknüpft, vor allem mit Menschen, die auch von einer Hirnverletzung betroffen sind», lächelt er. Manchmal vergisst er eine Verabredung oder kommt etwas zu spät, aber sein Freundeskreis reagiert verständnisvoll.
Seine Eltern sind ihm im Alltag eine grosse Stütze und dafür ist er ihnen sehr dankbar: «Nach meinem Unfall mussten wir umziehen. Der Eingang zum ursprünglichen Haus hatte drei Stufen und ich konnte diese unmöglich überwinden. Heute würde ich es schaffen.» Seine Eltern richteten die neue Wohnung ein und brachten eine Haltestange neben der Toilette sowie auch ein Sitzbrett in der Badewanne an. «Ohne meine Eltern wäre es sehr kompliziert gewesen», ist sich der junge Mann bewusst.
FRAGILE hilft beim Knüpfen von Kontakten
Fabio erfuhr bei einem Besuch bei einer Neuropsychologin von FRAGILE Vaud. Er besuchte einige Veranstaltungen von Bibliothé (siehe unten) und Gesprächsgruppen. «Es hat mir sehr gut getan, meine Erfahrungen zu teilen und Menschen zu sehen, die in der gleichen Situation sind wie ich», sagt er. Besonders gefallen ihm die Weihnachtsfeiern, die er jedes Jahr besucht. «Meine Eltern haben mich sogar einmal begleitet, das war toll», erinnert er sich.
Diese Aktivitäten ermöglichen es ihm, andere Menschen zu treffen, die ebenfalls mit einer Hirnverletzung leben. «Ich finde es einfacher, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen – es gibt nicht diese Diskrepanz wie bei meinem früheren Freundeskreis», sagt er. Fabio schreibt regelmässig an Personen, mit denen er sich gut versteht, und verbringt gesellige Stunden mit ihnen. Die Angebote von FRAGILE haben es ihm ermöglicht, dauerhafte Kontakte zu knüpfen und Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Bibliothé wird von FRAGILE Vaud angeboten. Die Mitglieder treffen sich einmal im Monat zu einer Lektüre und tauschen ihre Eindrücke bei einem Tee oder Kaffee aus.
Text: Megan Baiutti, Fotos: Francesca Palazzi