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«Ich bin stolz, dass ich alleine zurechtkomme»

Jean-Daniel Z. kann heute alleine leben. Unter anderem dank der Unterstützung von FRAGILE Suisse. Bis dahin war es aber ein langer Weg. Durch eine Hirnblutung vor 30 Jahren hat sich sein Leben völlig verändert.

Jean-Daniel Z. kann heute alleine leben. Unter anderem dank der Unterstützung von FRAGILE Suisse. Bis dahin war es aber ein langer Weg. Durch eine Hirnblutung vor 30 Jahren hat…

Text: Carole Bolliger, Foto: Ethan Oelman

«Ich bin zufrieden», sagt Jean-Daniel Z. Der 64-Jährige sitzt auf seinem Balkon in Wollerau und geniesst den schönen Sonnentag. Auf den ersten Blick ist ihm nicht anzusehen, dass er seit 30 Jahren mit den Folgen einer Hirnblutung kämpft. Erst, als er aufsteht, um in seiner Küche etwas zu holen, ist die Halbseitenlähmung seiner  rechten Körperhälfte sichtbar. Doch davon liess sich Jean-Daniel Z. nie unterkriegen. Auch nicht von der Aphasie, die er während der ersten Jahre nach der Hirnblutung sehr stark hatte. Heute kann er sich verständlich ausdrücken, auch wenn ihm ab und zu ein Wort nicht in den Sinn kommt oder er etwas länger danach suchen muss.

Vor 30 Jahren, als er 34 Jahre alt war, hatte er einige Monate nach einem Autounfall, bei dem er sich als Beifahrer aber eigentlich nicht verletzt hatte, über mehrere Tage starke Kopfschmerzen. Plötzlich wurde er ohnmächtig. Erinnern kann er sich nicht daran. Zwei Wochen lag er im Koma, einen Monat im Spital, gefolgt von weiteren acht Monaten in der Reha. «Erst nach einiger Zeit habe ich realisiert, das mit mir etwas nicht stimmte», sagt er. Er sei traurig gewesen, habe laut und stark geweint. «Aber ich war schon immer ein sehr positiver Mensch und diese Eigenschaft hatte ich zum Glück auch durch meine Hirnverletzung nicht verloren.» Er rappelte sich hoch, war dankbar, dass er überhaupt noch am Leben war. «Ich wusste, ich muss und will das Beste daraus machen.» Viel Unterstützung bekam er von seiner damaligen Frau, seinen Eltern und Geschwistern.

Neue berufliche Aufgaben

Als Rechtsanwalt konnte er nicht mehr arbeiten. Auch wenn ihn sein Arbeitgeber zurückholte und ihm die Chance gab. Es ging einfach nicht mehr. Doch auch diese Erkenntnis warf Jean-Daniel Z. nicht aus der Bahn. Seine positive Einstellung und sein Optimismus halfen ihm, auch mit schwierigeren Situationen gut umgehen zu können. In einem Wiedereingliederungszentrum für Menschen mit Behinderung, in der Nähe, wo er aufgewachsen war, erlernte er das Arbeiten am Computer, trotz Halbseitenlähmung. Zwei Jahre später bekam er bei den SBB einen geschützten Arbeitsplatz als technischer Zeichner. Obwohl er seit seinem Unfall eine volle IV-Rente erhielt, war er froh, wieder arbeiten zu können. «Das Gefühl, gebraucht zu werden, hat mir gefehlt.» Bis zu seiner Pensionierung vor ein paar Monaten arbeitete Jean-Daniel Z. mit einem 25-Prozent-Pensum an dieser Stelle.

«Im Team wurde ich immer akzeptiert.» Allgemein ging und geht Jean-Daniel Z. mit seiner Hirnverletzung sehr offen um. Er habe sich nie geschämt, sich nie vor anderen zurückgezogen. «Ich bin, wie ich bin», sagt er. Natürlich habe er Freunde verloren, aber auch wieder neue gefunden. Seiner Frau, von der er seit drei Jahren getrennt lebt, ist er sehr dankbar für ihre Unterstützung. Ohne sie wäre er heute nicht dort, wo er ist, ist er überzeugt.

Begleitetes Wohnen nicht mehr nötig

Zu FRAGILE Suisse kam er vor drei Jahren. Als er sich von seiner Frau räumlich trennen wollte, da er die Abhängigkeit nicht mehr ertrug. «Ich hatte grosse Fortschritte gemacht und das Bedürfnis, alleine zu leben, mein Leben wieder selber in die Hand zu nehmen», erklärt er. Dies tat er mit Hilfe von FRAGILE Suisse. Die Beraterin von FRAGILE Suisse unterstützte und motivierte ihn in seinem Wunsch, selbständig zu leben. Mit Hilfe des Begleiteten Wohnens und einer Assistenz. So zog Jean-Daniel Z. aus dem gemeinsamen Haus aus in eine kleine Wohnung, in der er sich sehr wohl fühlt.

Regelmässig bekommt er Hilfe von zwei Assistentinnen. Sie helfen ihm im Haushalt und bei administrativen Angelegenheiten. Das Begleitete Wohnen von FRAGILE Suisse war eine wichtige Stütze und leistete Beistand in allen notwendigen Bereichen. Sozialberaterin Sylvianne Imhof Zanaty hat ihn die letzten drei Jahre begleitet. Jean-Daniel Z. brauche das Begleitete Wohnen bald nicht mehr, ist sich Sylvianne Imhof Zanaty sicher. Er habe alles so gut im Griff. Aber natürlich stehe ihm die Helpline jederzeit zur Verfügung, wenn er Fragen oder Anliegen habe, versichert sie Jean-Daniel Z.

«Auf mich und mein Tempo wird eingegangen»

Obwohl der 64-Jährige seit kurzer Zeit pensioniert ist, wird ihm nicht langweilig. Er singt seit vielen Jahren im Chor, kocht selber, geht alleine einkaufen, macht Sport. «Da bei mir alles viel länger dauert, geht die Zeit schnell um», sagt er und lacht. Es mache ihn froh und auch etwas stolz, dass er alleine so gut zurechtkomme. Auch wenn er mal vor einer Hürde steht, weiss er sich zu helfen. Sein Motto ist: «Nicht aufgeben, dranbleiben und einfach probieren.» Es gebe für alles eine Lösung. Aber er gehe nie ein Risiko ein.

Obwohl Jean-Daniel Z. gerne in Gesellschaft ist, ist er auch sehr gerne alleine. In einer Gruppe sei es für ihn oft schwierig. «Die reden dann alle durcheinander und so schnell, dass ich nicht nachkomme.» In solchen Momenten fühle er sich manchmal einsam. Obwohl um ihn herum viele Menschen sind. Deshalb schätzt er besonders die Kurse von FRAGILE Suisse, an denen er manchmal teilnimmt. «Dort wird auf mich und mein Tempo eingegangen, ich kann ausreden, ohne dass mich jemand unterbricht oder hetzt.» Besonders der Jutz-Kurs, den er im Sommer besucht hat, hat ihm gefallen. Er gibt einen lauten Jutz von sich. «Ja, ich bin zufrieden mit meinem Leben», sagt er und lehnt sich in seinem Stuhl auf dem Balkon zurück.

 

Quelle: Magazin FRAGILE Suisse – 3/2018

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